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Inklusion – aller Anfang heißt Verständnis

Arbeiten ohne Barrieren - Wie Unternehmen von Inklusion profitieren

Fotos:  © Pia Henkel / Regionalinkubator Berlin Südwest, Autor: Thorsten Murr

31. REGIOTALK VOM 9.09.2025 IM Blindenhilfswerk Berlin e. V.

Arbeiten ohne Barriere - Wie Unternehmen von Inklusion profitieren

  • Thema: Herausforderungen und Chancen einer inklusiven Arbeitswelt
  • Ort: Blindenhilfswerk Berlin e. V.
  • Fokus: Gesamtgesellschaftliche Initiativen zur größtmöglichen Teilhabe aller Menschen am Arbeitsmarkt
  • Ziel: Austausch und Sensibilisierung im Hinblick auf die Potenziale einer inklusiven Unternehmensführung  
  • Praxisbeispiele: Barrierearme Zusammenarbeit im Blindenhilfswerk Berlin e. V., Eingliederungs-Maßnahmen in den Arbeitsmarkt der Wendepunkt gGmbH, Fördermöglichkeiten der Einheitlichen Ansprechstelle für Arbeitgebende 

Inklusion – aller Anfang heißt Verständnis

Der 31. RegioTalk widmete sich dem Arbeiten ohne Barrieren und ging der Frage nach, wie Arbeitgebende in ihren Unternehmen Inklusion praktizieren und davon profitieren können

Stadtteil der Sinne: Blindheit als unmittelbare Erfahrung
Dem Angebot, sich bereits vor offiziellem Beginn der Veranstaltung sensibilisieren und authentisch auf das Thema einstimmen zu lassen, waren zehn der insgesamt 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefolgt und unternahmen auf dem Gelände des Blindenhilfswerks Berlin e. V., ausgestattet mit Augenmaske und Langstock, einen Exkurs in den „Stadtteil der Sinne“. In einer simulierten Stadtsituation konnten sie selbst erfahren, welchen Herausforderungen sich seheingeschränkte Personen im Alltag stellen müssen.

Zu Beginn des offiziellen Teils der Veranstaltung begrüßen Carsten Zehe, Geschäftsführer und Hausherr des Blindenhilfswerk e. V., sowie Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Soziales, Bildung und Kultur des Bezirks Steglitz-Zehlendorf, Tim Richter, die nunmehr rund 30 Gäste, und Moderator Juri Effenberg, Projektleiter des Regionalinkubators Berlin Südwest, sagt: „Wir haben heute ein großes Thema vor uns, denn Inklusion in den Arbeitsmarkt ist essenziell wichtig.“

„Alles andere als einfach!“

Den ersten Vortrag hält Myrhia Butenholz vom Blindenhilfswerk Berlin e. V., die seit Geburt stark seheingeschränkt ist und zuvor die Gäste am „Stadtteil der Sinne“ empfangen hatte. Sie beschreibt Erlebnisse und Situationen aus ihrer schulischen Kindheit und ihrer Jugend, die „alles andere als einfach“ waren. Erst im Studium hätte sie Akzeptanz ihrer starken Seheinschränkung erfahren und wirkliche Hilfe bekommen: „Beim Schreiben meiner Masterarbeit war und im aktuellen Berufsleben ist eine Studien- bzw. Arbeitsasisstenz für mich sehr hilfreich. Der Fortschritt in Bezug auf technische Hilfsmittel wie PC und Smartphone ermöglichen mir ein weitestgehend eigenständiges Arbeiten.“ Das sei in der Realität oft schwierig. Selbst sei sie aber ein gutes Beispiel dafür, wie Inklusion funktionieren kann.

Sinnstiftende Projekte, die den Menschen helfen

Im folgenden Vortrag spricht Dipl. Psych. Joachim Hampel, Jobcoach und einer der beiden Geschäftsführer der Wendepunkt gGmbH, einem gemeinnützigen Träger, der sich unter anderem der Integration von seheingeschränkten Menschen in den ersten Arbeitsmarkt widmet.

„Wir sehen uns als Lotse auf dem Weg zu einem selbstbestimmten und sinnerfüllten Arbeitsleben“, beschreibt er Ziele und Inhalt der Wendepunkt gGmbH. „Es ist teils schwierig, Beschäftigungsprojekte zu konzipieren, die sowohl im öffentlichen Interesse liegen als auch wettbewerbsneutral sind und zudem eine interessante Aufgabe für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beinhalten.“ Schließlich wolle man den Unternehmen in Berlin nicht die Aufträge wegnehmen. „Aber wir arbeiten seit 15 Jahren tagtäglich daran, sinnstiftende und spannende Projekte zu entwickeln, die den Menschen helfen, irgendwann wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“.

Beratungsangebot für Arbeitgeber

Theo Jannet, Berater der EAA, der Einheitlichen Ansprechstelle für Arbeitgeber bei der faw GmbH, einem Bildungsträger des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales, erklärt zu Beginn seines Beitrages: „Die Arbeitsplatzvermittlung obliegt laut Sozialgesetzbuch den Agenturen. Wir unterstützen aber intensiv und punktuell, bringen die Player am Arbeitsmarkt zusammen und helfen Arbeitgebern dabei, Menschen mit Behinderung in das Unternehmen zu integrieren“. Seit 2022 gibt es die EAA in allen Bundesländern.

In seinem Vortrag gibt Theo Jannet einen Überblick über die gesetzlichen Rahmenbedingungen und informiert über Fördermöglichkeiten bei Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung.

Die EAA verstehe sich als Unternehmensberater für Arbeitgeber, die Interesse daran haben, Menschen mit Behinderung einzustellen. „Wir wollen als Unternehmen bewusst etwas inklusiver werden“ – so und so ähnlich begännen oft die ersten Gespräche mit den Kunden. Von der Finanzierung des Arbeitsplatzes bis hin zu speziellen Einbauten oder anderen individuellen technischen Lösungen – Arbeitgeber hätten in der Regel einen relevanten Mehraufwand zu erbringen, wenn sie inklusiv sein wollen. Deshalb sein Rat an die Anwesenden: „Unternehmen sollten sich immer rechtzeitig vor der Arbeitsvertragsunterschrift bei uns melden. Dann kann die EAA helfen und den Prozess nachhaltig moderieren.“

Aufeinander zugehen, Herausforderungen gemeinsam meistern

Mit Tim Richter, Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Soziales, Bildung und Kultur des Bezirks Steglitz-Zehlendorf, kommt schließlich die Realpolitik zu Wort. Anhand von Praxisbeispielen erklärt er, wie essenziell das Thema Inklusion am Arbeitsmarkt, aber auch im Allgemeinen ist. Dabei geht er auf strukturelle Hürden und Grenzen ein, denen sich die Verwaltung selbst täglich gegenübersieht, und beschreibt anschaulich, dass es noch sehr große Hemmnisse zu überwinden gilt: „Die Arbeit des Blindenhilfswerks und der vorangegangenen Redner ist wertvoll und enorm wichtig, um nicht nur im Bezirk das Leben aller leichter zu gestalten. Wir müssen uns mit Empathie und  infühlungsvermögen aufeinander zubewegen, um die Herausforderungen gemeinsam zu meistern“, sagt er.

Bezogen auf die Wechselwirkung zwischen Verwaltung, Arbeitgebern und behinderten Menschen, betont er: „Es ist uns wichtig, ins Gespräch zu kommen. Das ist unser Anliegen als Bezirk.“ – „Einen Bordstein abzusenken ist ein Einfaches und ein für uns alle verständliches Zeichen, wie man behinderten Menschen im öffentlichen Raum Hilfe zur Verfügung stellt. Das gilt für seheingeschränkte Menschen ebenso, wie für ältere Mitbürger und Rollstuhlfahrer.“

Rege Diskussion: Mythen ausräumen!

Nach einem herzlichen Beifall für alle Vortragenden lädt Moderator Juri Effenberg zur Podiumsdiskussion ein. Auf seine Frage, ob es typische Mythen und Irrtümer zum Thema Inklusion auf dem Arbeitsmarkt gäbe, erklärt Theo Jannet: „Der Mythos, dass Menschen mit Behinderung nicht gekündigt werden dürften, ist sehr hartnäckig, geistert noch immer umher und schreckt Arbeitgeber ab, Menschen mit Behinderung einzustellen.“ Dem sei aber nicht so. „Menschen mit Behinderung können, wie alle anderen Mitarbeitenden auch, gekündigt werden. Das ist auch in Ordnung, wenn es triftige Gründe unabhängig von der Behinderung gibt. Dann helfen wir und moderieren den Prozess
der Kündigung.“

Auf die von Juri Effenberg an sie gerichtete Frage, was sich ändern sollte, um Inklusion schon lange vor dem Arbeitsleben, etwa im Kindesalter, zu unterstützen, meint Myrhia Butenholz: „Das Bildungssystem muss meiner Meinung nach angepasst werden. Kinder gehen sehr offen mit dem Thema Behinderungen um und stellen gerne Fragen, wenn ihnen dafür der Raum geboten wird. Hier muss die Politik etwas verbessern. Das Thema Inklusion sollte im Unterricht einen festen Platz haben und durch praktische Erfahrungen erlebbar gemacht werden“.

Angesprochen auf besondere Herausforderungen in der Zukunft, sagt Tim Richter: „Wir müssen als Bezirk auch mutiger sein. Die Herausforderung gegenüber der Generation der Babyboomer ist eine andere als die gegenüber nachfolgenden Generationen. Wir müssen digitaler und moderner werden, ohne analoge Angebote einzustellen. Es darf nicht sein, dass wir als Verwaltung ein PDF produzieren, welches von anderen Unternehmen oder Ebenen der Verwaltung oder von einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht gelesen werden kann. Das ist veraltet. In solchen Fragen müssen wir unsere Geisteshaltung ändern und dafür sorgen, dass alle miteinander arbeiten können, auch Menschen mit Behinderungen.“

Somit schließt sich zum Ende der Diskussion der thematische Kreis des heutigen Abends, der in einem entspannten Get-together, mit lebhaftem individuellem Austausch zwischen Referierenden und Gästen, seinen Abschluss findet.