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Kunst und Kultur als Wirtschaftsfaktor - Wie die Kreativwirtschaft den Tourismus beeinflusst

Fotos:  © Christian Schneider / RIK Berlin Südwest, Autorin: Mariya Druzyaka

 

27. REGIOTALK VOM 28.01.2025 IM STEGLITZER KREISEL ("ZEIT IST KNAPP")

Kunst und Kultur als Wirtschaftsfaktor - Wie die Kreativwirtschaft den Tourismus beeinflusst

  • Thema: Kunst und Kultur als treibende Kraft in der Tourismuswirtschaft und Identitätspfeiler der Kulturmetropole Berlins
  • Ort: ehemaliges Globetrotter-Gebäude im Steglitzer Kreisel, Zwischennutzungsprojekt „Zeit ist knapp“, Steglitz-Zehlendorf, Berlin
  • Fokus: wirtschaftlicher Mehrwert von Kultureinrichtungen und Kunstschaffenden, kulturelle Zwischennutzung in Großstädten
  • Ziel: Förderung der Kultur als Investition in die Wirtschaft, den Tourismus und die Gesellschaft Berlins
  • Praxisbeispiele: Kulturkorso, "Zeit Ist Knapp", Nutzung von Synergien von Kultur und Wirtschaft am Beispiel der Domäne Dahlem

Berlin als Kulturmetropole

Beim 27. RegioTalk wurde sich über den wirtschaftlichen Mehrwert von Kunst und Kultur ausgetauscht

 

Wer den alten Globetrotter-Standort in Steglitz finden will, muss nicht lange suchen. Die Steglitzerinnen und Steglitzer kennen diesen Platz ohnehin seit Ewigkeiten und verbinden ihn sofort mit dem markanten Hochhaus: dem Steglitzer Kreisel.

Wer aus anderen Berliner Bezirken kommt und in Steglitz nicht heimisch ist, landet nach dem Aussteigen aus der U-Bahn-Station Rathaus Steglitz direkt vor der Tür. Genau an diesem Ort, im ehemaligen Globetrotter, hat am Dienstag, den 28. Januar 2025, der 27. RegioTalk des Regionalinkubators Südwest stattgefunden.

Der bekannte Ausstatter Globetrotter ist schon vor Jahren ausgezogen und hat inzwischen ein neues Zuhause ein paar Häuser weiter in derselben Schloßstraße gefunden. Der neue Mieter und Gastgeber des Abends ist Moritz Senff vom Zwischennutzungsprojekt „Zeit ist knapp“. „Dieses Gebäude hat viele Geschichten, Mieter und Eigentümer begleitet, aber die letzten fünf Jahre war hier Leerstand“, sagt Senff. Doch seit kurzem bringt sein Projekt wieder Leben in die alte Globetrotter-Filiale und setzt den Fokus auf soziokulturelle Angebote vor Ort. Eines davon ist die Rollschuh-Diskothek mit ihrem 80er-Jahre-Flair.

Über 40 Teilnehmende machen es sich vor dem provisorischen Podium gemütlich. Juri Effenberg, Projektleiter des RIK und Moderator der Veranstaltung, eröffnet den Abend mit einer herzlichen Begrüßung des Publikums und der vier geladenen Gäste auf dem Panel. Mit dabei sind Cerstin Richter-Kotowski, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin und Bezirksstadträtin für Bildung, Kultur und Sport, Steffen Otte, Direktor und Vorstand der Domäne Dahlem, Notker Schweikhardt, Senior Manager Kultur bei visitBerlin, und Moritz Senff, Geschäftsführer des Projekts „Zeit ist knapp“.

Der Austausch lässt nicht lange auf sich warten. Die Podiumsgäste, denen die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung des Bezirks sichtlich am Herzen liegt, bringen bedeutende Anliegen und Perspektiven für den Abend mit. Noch bevor die Diskussion richtig in Fahrt kommt, wird deutlich: Für alle Anwesenden sind Kunst, Kultur und Tourismus entscheidende Wirtschaftsmotoren in Berlin.

„Wir möchten Räume für die Bevölkerung, für die Community, wie wir hier sagen, wieder zugänglich machen. Wir wollen den Menschen Orte bieten, an denen sie sich entfalten können“, betont Moritz Senff und bringt damit sein zentrales Anliegen auf den Punkt. Dabei gehe es ihm insbesondere darum, dass die Soziokultur im Bezirk für Adressatinnen und Adressaten möglichst niedrigschwellig und bezahlbar bleibt. „Wir bieten die Flächen für Kunst, Kultur, Musik, Jugendarbeit oder Sozialarbeit. Aber im Endeffekt kann sich hier jeder melden, der eine Idee, eine Vision, ein Konzept hat und der Meinung ist, er könne sich selbst oder ein Projekt für die Gemeinschaft verwirklichen“, führt er fort. Das große Kapital werde hier nicht geschlagen. Das angestrebte Ideal dieses Zwischennutzungsprojekts sei letztendlich die sogenannte Win-Win-Win-Situation: Ein finanzieller Vorteil für mitwirkende Akteurinnen und Akteure, die kurzfristig Räume anmieten können, ein kultureller Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger – und schließlich ein kleiner Gewinn für das Projekt selbst, das so seine Mission weiterverfolgen kann.

Cerstin Richter-Kotowski kennt ebenfalls das enorme Potenzial für kulturelle Aktivitäten im Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Sie ist überzeugt, dass es möglich ist, Touristinnen und Touristen aus dem inneren S-Bahnring anzuziehen, indem man den Kunst- und Kulturreichtum des Bezirks stärker in den Vordergrund rückt – etwas, das die typischen „Berlin in drei Tagen“-Reiseführer bisher nicht leisten. „Gemeinsam mit visitBerlin haben wir darüber nachgedacht, wie wir den Tourismus in Steglitz-Zehlendorf intensivieren können. Dabei entstand im Jahr 2018 die Idee, Kultureinrichtungen über verschiedene Radrouten zu einem Erlebnis zu verbinden“, erläutert sie als Beispiel.

So sei der sogenannte Kulturkorso entstanden – ein großes Netzwerk aus 14 verschiedenen Museen und Einrichtungen im Südwesten Berlins.

Notker Schweikhardt von visitBerlin plädiert ohnehin dafür, Berlin in seiner Gesamtheit zu betrachten. „Es gibt 400 Kieze in Berlin, und das macht den Charme der Stadt aus“, sagt er. Berlin habe so viele Zentren, die übersehen werden. „Dem Durchschnittstouristen, der reflexartig zum Brandenburger Tor fährt und vielleicht auch noch auf die Museumsinsel kommt, dem wollen wir den Rest der Stadt auch nahelegen“, betont Schweikhardt etwas schmunzelnd.

Die vierte Perspektive auf dem Panel bringt Steffen Otte von der Domäne Dahlem ein. „Auch heute ist die Domäne noch ein Landwirtschaftsbetrieb, aber wir verstehen uns in erster Linie als Kultur- und Bildungsort“, erklärt Otte. Wie eng Wirtschaft und Kultur miteinander verbunden sind, verdeutlicht er am Beispiel des gastronomischen Angebots und des Hofladens der Domäne. „Unsere Besucher:innen kommen, um sich wohlzufühlen, und dazu gehört einfach auch die Gastronomie. Gleichzeitig steigert die Gastronomie den Mehrwert der Kultur, weil sich die Menschen wohler fühlen. Umgekehrt trägt die Kultur zur Umsatzsteigerung der Gastronomie bei“, erläutert er den Prozess, der den Teilnehmenden sofort einleuchtet.

Man dürfe auch den wirtschaftlichen Aspekt der Marktfeste nicht vergessen, die sich großer Beliebtheit erfreuen. „Viele Kunsthandwerker:innen sowie Lebensmittelproduzent:innen verkaufen ihre Waren auf unseren Marktfesten, und für einige machen beispielsweise die Adventsmärkte einen Großteil des Jahreseinkommens aus“, führt Steffen Otte seine wichtige Keynote weiter aus. Genau das sei eine wunderbare Symbiose aus Kultur und Wirtschaft.

In der anschließenden Podiumsdiskussion werden aber auch die aktuellen Herausforderungen sichtbar, über die Panel-Gäste nicht umhinkommen sprechen zu müssen. Ein gravierendes Problem ist die Kürzung der Fördermittel für die Kultur, auf die sich Kulturschaffende mit dem neuen Jahr einstellen müssen. „Die 12 Prozent weniger Geld vom Land für den Kulturbereich werden viele noch schmerzlich zu spüren bekommen“, warnt Notkar Schweikhardt und weist auf die prekäre Situation hin. „Das betrifft Theater- und Kulturakteure, die wirklich um jeden Euro kämpfen müssen und vom Land unterstützt werden, aber auch ganz kleine Initiativen wie diese hier. Das ist großartig und wir brauchen das, aber davon kann natürlich kaum jemand leben“, appelliert Schweikhardt an das Publikum. „Die Förderung der Kultur ist keine Subvention, sondern vielmehr eine Investition in eine Stadt wie Berlin, die vom Tourismus profitiert und lebt“. Vom Publikum auf Sofas und Stühlen ertönt lauter Applaus als Zeichen des Zuspruchs.

Der 27. RegioTalk endet – wie für das Format üblich – mit einer Fragerunde, in der auch das Publikum zu Wort kommt. Dabei werden generationsübergreifende Sorgen und Wünsche geäußert, die dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf neue Impulse geben könnten.

Ein junger Stadtplaner meldet sich zu Wort. Er vermisst Konzepte für die Clubkultur oder einfach den Späti um die Ecke. „Ich glaube, Steglitz-Zehlendorf ist ein riesiger Bezirk. Wir können hier gleichzeitig Museen im Grünen haben und trotzdem Orte schaffen, an denen wir gemeinsam feiern und die Clubkultur fördern“, sagt er überzeugt.

Ein anderer Gast ist Pensionär. Obwohl er gar nicht in Steglitz wohnt, hat ihn das Thema hergeführt. Seine Sorge: Was passiert mit den bestehenden Kulturinstitutionen? „Es geht ja nicht nur um die jungen Leute, sondern auch um die älteren. Was wird aus der Schaubühne? Was wird aus der Volksbühne?“ fragt er in die Runde.

 

Konkrete Lösungen gibt es an diesem Abend nicht – aber in einem Punkt herrscht Einigkeit. Notker Schweikhardts Worte bringen es auf den Punkt: „Berlin ist eine Kulturmetropole. Wenn wir die Orte wegnehmen, was bleibt dann? Morgens aufstehen, arbeiten gehen, schlafen gehen.“