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Tourismusjahr 2024: Herausforderungen und Chancen in Zeiten des Wandels

Fotos: Bernd Elmenthaler, Autor: Sven Goldmann

17. RegioTalk vom 12.12.2023 im Gutshaus steglitz

Tourismusjahr 2024: Herausforderungen und Chancen in Zeiten des Wandels

Die Deutschen haben NachholbedarfBeim 17. RegioTALK des RIK wird über den Tourismus der Nach-Corona-Zeit debattiert

Da ist zum Beispiel Magdas Hotel. Eröffnet in einem Haus, das der große Dombaumeister Kurt Stögerer einst in bester Innenstadtlage für Priester errichtet hat und das sich jetzt dem Social Business verschreibt. Achtzig Menschen mit Flüchtlingshintergrund werden hier ausgebildet. Freiwillige und Künstler bringen sich ein, die phantasievoll recycelte Einrichtung besticht durch den Vintage-Duktus der Sechziger Jahre, und selbstverständlich hält Magda auch das Prinzip der Barrierefreiheit hoch. „Ein großartiges Projekt“, sagt Katja Schellknecht in ihrem Vortrag beim 17. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK).

 

Es geht in diesem letzten Talk des alten Jahres um den Glanz, den das neue schon verspricht. Um das „Tourismusjahr 2024 – Herausforderungen und Chancen in einer Zeit des Wandels“. Einmal mehr hat sich RIK-Chef Professor Frank Schaal illustre Gäste in den Rokokosaal des Gutshauses Steglitz eingeladen. Den Tourismus-Professor Werner Gronau von der Hochschule Stralsund, dazu seine Kollegin Sandra Rochnowski von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Und die Unternehmensberaterin Katja Schellknecht, die so eindrucksvoll von Magdas Hotel schwärmt, diesem wegweisenden Projekt, das doch allen zeige, wie der Tourismus sich auch in schwierigen Zeiten neu erfinden könne.

 

Da stört es nicht mal am Rande, dass Magdas Hotel seine multikulturelle Gästeschar nicht in der Steglitzer Schloßstraße oder in Zehlendorf-Mitte empfängt. Sondern in der Ungargasse im dritten Wiener Gemeindebezirk. Entscheidend ist vielmehr, dass es nach den deprimierenden Jahren im Schatten von Corona für den Tourismus wieder bergauf geht. Über die von der Pandemie verursachte Delle müsse man nicht weiter debattieren, erzählt Werner Gronau, „aber mit den aktuellen Zahlen sind wir jetzt fast schon wieder auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit“. Was ihn dabei ein wenig irritiert, ist das überraschend dürftig ausfallende Bekenntnis zu nachhaltigem Reisen. Wenn es denn in den Jahren der erzwungenen Reiseauszeit so etwas wie ein schlechtes Gewissen gegenüber einem womöglich unangemessenen Umgang mit den Ressourcen der Welt gab, so hat dieses sich im Gefolge der Viren verflüchtigt. Insgesamt gesehen habe Nachhaltigkeit eine noch geringere Relevanz als in den Jahren vor Corona, und eine Trendwende sei nicht erkennbar. „Negative Auswirkungen werden zwar bedauert, führen aber zu keinem gesellschaftlichen Handlungsdruck“, sagt Gronau. „Es ist auch nicht so, dass Leute lieber mit der Bahn als mit dem Flugzeug reisen. Die Zahlen sprechen eher für das Gegenteil.“ Was Greta wohl dazu sagt?

 

In diesem Sinne erinnert die Unternehmensberaterin Katja Schellknecht daran, dass Reisegewohnheiten sich nun mal nicht moralischen Kategorien unterordnen. So gebe es den Massentourismus trotz aller öffentlichen Geißelung immer noch, „das haben wir im vergangenen Sommer am Beispiel Mallorca gesehen“. Auch Airbnb werde zwar kritisch gesehen, „aber da geht die Entwicklung nun mal hin“. Heutzutage wolle doch keiner mehr zwanzig Minuten an einer Rezeption warten oder sich den von Hotelseite verordneten Frühstückszeiten unterordnen. Mittlerweile gebe es einen ganz neuen Trend, nämlich da zu arbeiten, wo andere Urlaub machen. Die moderne Kommunikation macht‘s möglich.

 

In einer Art Erwiderung zum allgemeinen Hang wider die Nachhaltigkeit verweist die Professorin Sandra Rochnowski darauf, dass sich auf Seiten der Reiseveranstalter sehr wohl etwas verändert habe: „Immer mehr Unternehmen sind dazu verpflichtet, Auskunft über ihren sozialen und ökologischen Fußabdruck zu geben.“ Das Zauberwort heißt CSRD, ein neudeutsches Akronym, das für „Corporate Sustainability Reporting Directive“ steht und damit für die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeits-Berichtserstattung. Das klingt kompliziert und ist es zuweilen auch. „Raten Sie mal, zu wie vielen Kennzahlen Unternehmer mittlerweile berichten müssen“, fragt Sandra Rochnowski in den gut besuchten Rokokosaal. Nach ein paar Sekunden ratlosen Schweigens präsentiert sie die Lösung. „Mittlerweile sind es ... 1178 Kennzahlen!“ – „Das ist doch absurd!“, ruft einer aus dem Publikum. Sandra Rochnowski nickt. „Ja, das ist absurd.“ Die Bürokratie macht es dem Tourismus nicht immer leicht. Wenn denn die Veranstalter gerade hierzulande hoffnungsvoll in die Zukunft blicken würde, so liege das an der Gewissheit, dass „die Deutschen nicht am Urlaub sparen, weil sie seit Corona Nachholbedarf haben“.

 

Den Wert dieser Erkenntnis für Berlin betont Professor Frank Schaal in der abschließenden Podiumsdiskussion. „Wir dürfen nicht vergessen, welche Kraft der Tourismus als weltweit wichtigster Wirtschaftszweig auch hier entfaltet“, sagt der RIK-Chef. „Das Geld, das die Touristen in der Corona-Zeit nicht ausgegeben haben, fehlt der gesamten Stadt.“ Aber es gehe wieder aufwärts, auch und gerade in der Touristen-Metropole Berlin. Etwa in Neukölln, wo neben dem Hotel Estrel ein 200 Meter hoher Bettenturm in den Himmel wächst. Und irgendwo dürfte in Berlin bald auch ein Pendant zu Magdas Hotel aus dem dritten Wiener Gemeindebezirk das internationale Publikum verzücken.